Sunderlands Bücherregal 3/2019

Habe ich eigentlich schon einmal etwas Altes gelesen? So richtig alt? Wenn noch nicht vorher, dann aber zumindest jetzt - denn die heutige Ausgabe beschäftigt sich mit richtig bekannter Literatur. Diese kommt mir normalerweise ziemlich selten in die Finger - doch hier hatte ich das Interesse, es zu lesen. Eine wertvolle Erfahrung für mich als Autor.


Autor: Victor Hugo
Buchtitel: Der Glöckner von Notre Dame
Originaltitel: Notre-Dame de Paris
Jahr der Veröffentlichung: 1831
Seitenanzahl: 445 Seiten
Kapitelanzahl: 50 Kapitel
Verlag: Anaconda-Verlag
Serienangabe: Stand-Alone


Meine Ausgabe
Warum ich dieses Buch gelesen habe, ist eigentlich relativ einfach nachzuvollziehen: Schon als Kind konnte ich nicht genug bekommen von dem Disney-Film mit der tollen Musik und den spannenden Bildern. Ok, als Kind habe ich nicht alles verstanden, aber inzwischen liebe ich den Film nur noch mehr. Und seit 2015 gibt es sogar eine komplett neue Musical-Adaption, deren englische Version einen Kompromiss zwischen Buch und Film bietet, wie er vorher nie existiert hat und mit Musik, die jeden anderen Soundtrack und jedes andere Musical in den Schatten stellt (für mich).

Jetzt, wo nur noch in meinem Inneren ein Kind schlummert, wollte ich der Vorlage zum Film eine Chance geben und mich mit dem Original beschäftigen. Das habe ich schon einmal versucht, im Jahr 2017. Damals hatte ich durch Zufall eine Ausgabe bekommen, nur leider war diese eine Fehlbindung, bei der ein Teil der Seiten fehlte und ein anderer doppelt war. Deswegen habe ich letztes Jahr eine neue Ausgabe gekauft. Diese ist eine gebundene Ausgabe, die trotzdem sogar weniger gekostet hat als ein herkömmliches Taschenbuch - ein echtes Schnäppchen also.

Theatrical Release Poster
1996 Disney


Das Vorhaben, dieses Buch zu lesen, wurde mir im April schmerzlich in Erinnerung gerufen, als das Dach der namens-gebenden Kathedrale brannte und die ganze Welt ein Wahrzeichen der Hoffnung niederbrennen sah. Zum Glück musste nur das Dach dran glauben und Notre Dame wird nach seinem Wiederaufbau hoffentlich wieder genauso schön sein, wie vorher. Nie wieder die alte, aber immer noch da, das ist das Wichtigste. Und sobald es so weit ist, werde ich nach Paris fahren und selbst einmal diese geheiligten Hallen betreten. Doch nun mehr zum Buch.

HANDLUNG:
Im Jahre 1482 wird der jährliche Narrentag in Paris begangen. Auf diesem begleiten wir das Leben und Wirken verschiedener Menschen, unter anderem des missgestalteten Glöckners Quasimodo, den Gebrüdern Jehan und Claude Frollo und der wunderschönen Esmeralda. Denn als sich die Wege dieser Menschen kreuzen, verändert es das Leben aller Beteiligten - zum guten, zum schlechten - und wirft ebenfalls einen Blick auf eines der bekanntesten Bauwerke der Welt.

FAZIT:
Cover des deutschen Soundtracks
Eigentlich darf man dieses Buch heute gar nicht mehr kritisieren, da es so viel Bedeutung in der literarischen Welt und sogar mehrere Verfilmungen erfahren hat. Also widme ich dieses Fazit eher einigen Beobachtungen, die ich gemacht habe, und Gedanken, die mir zum Inhalt gekommen sind. Und das sind bei der Detailtiefe schon einige.

Zuerst komme ich auf den Schreibstil zu sprechen. Dass das Buch von 1831 ist, merkt man trotz der Übersetzung überaus deutlich. Viele Formulierungen und Wörter werden heute kaum bis gar nicht mehr verwendet und sind für mich teilweise nicht richtig verständlich. Oft hilft hier der Zusammenhang, manchmal nur eine Recherche im Internet. Diese habe ich mir aber erspart, da es nicht im Weg steht, die Geschichte zu verfolgen. Durch diese Art und Weise ist das Buch nur für wirklich geduldige Leser gut geeignet. Zu denen zähle ich mich eigentlich schon - schließlich gibt es nur ein Buch, das ich wirklich abgebrochen habe (aufmerksame Leser meines Blogs werden es kennen). Auch wird stellenweise Latein gesprochen, das leider nur selten in der Fußnote übersetzt wurde. Zu meinem Pech hatte ich nie Latein und habe deshalb nicht immer alles verstanden.

Nun zu den Figuren. Natürlich kommt das Buch nicht mit sprechenden Gargoyles oder Heiligen daher, sondern bleibt auf der ernsten Ebene einer historischen Erzählung. Das war klar, ich wollte es nur mal erwähnt haben. Neben den wirklich bekannten Figuren wie Frollo, der hier der Erzdiakon von Notre Dame ist, dem tauben und missgestalteten Glöckner Quasimodo und der Zigeunerin Esmeralda samt ihrer Ziege Djali gibt es noch einige mehr. Zu diesen bekannten Figuren sei erwähnt, dass sie teilweise andere Persönlichkeiten haben. Quasimodo ist nicht der verträumte Typ, er ist eher grob und hat ein einfaches Verständnis für die Dinge. Esmeralda scheint mir sehr zurückhaltend und vor allem naiv zu sein, Frollo hingegen ist nach wie vor eine düstere Person.

Werbebanner für die Musical-Adaption von 2015/2016

Am wichtigsten und erwähnenswertesten finde ich bei den weiteren Charakteren zum Beispiel Claude Frollos Bruder Jehan, der mir zwar auch durch das Musical bekannt ist, aber im Buch ganz anders zu seinem Bruder steht. Auch ist seine Geschichte nicht so, wie besungen. Er taucht oft am Rande des Geschehens auf und wird als schelmenhafter Student beschrieben. Sogar sein Ende passiert nur nebenbei. Eine andere Figur, die wir direkt am Anfang der Geschichte kennenlernen, ist der Dichter Peter Gringoire, der im Laufe der Geschichte den Hof der Wunder findet und sich den Zigeunern anschließt, was auch mit Esmeralda zu tun hat. In einer neuen Verfilmung würde ich ihn sehr gerne mit in der Story haben. Auch wenn er gegen Ende plötzlich etwas tut, das mich sehr verwundert hat.

Während man die unbekannten Figuren hier erst kennenlernt, erfährt man auch sehr viel Neues über bereits bekannte Charaktere der Geschichte. So zum Beispiel über Frollo und wie er wurde, wie er ist.  Denn weder Film noch Musical sprachen je über seine Schulbildung und seine weitere Familie. Auch über Phoebus und Clopin und die anderen bekommt man Informationen, die der Film und das Musical ausgespart und abgeschwächt haben. Aus offensichtlichen Gründen. Einiges lässt sich schwer auf ein kinderfreundliches Format schneiden.

Musical-Besetzung der drei Hauptrollen
Was die allgemeine Struktur des Buches betrifft, so finde ich, dass der Autor im Großen und Ganzen eine Art roten Faden hatte, dem er folgt. Hin und wieder liegen mehrere Handlungen beieinander, sodass er manchmal wechselt. Zusätzlich gab es auch Elemente, die mir eher Nebenprodukt der Geschichte zu sein schienen. Oft beschrieb er Sachen sehr genau und ausführlich, manche Figuren verloren sich in seitenlangen Monologen - aber das war in der damaligen Literatur so üblich. Vor allem gegen Ende wechseln sich spannende Passagen mit welchen, die die Handlung verlangsamen. Trotzdem habe ich geduldig alles in mir aufgenommen. Was ich eher mochte, war die Art, wie er sich bewusst war, dass er es mit einem Leser zu tun hatte. Oft schreibt Hugo davon, dass der Leser bestimmt dies bemerkt hat, sich an jenes erinnert oder eine Figur anhand der Beschreibung bestimmt erkennt. Das fand ich irgendwie nett und anders, weil ich es vorher nie so gelesen habe. Im Vergleich zu Disney habe ich hier eine vollkommen andere Geschichte, die so viel mehr Potenzial hat. Vielleicht kommen einige dieser Dinge ja in den Realfilm. Über Klappentext und Cover brauche ich hier nichts zu sagen - die Geschichte spricht für sich.


Bewertung:
3/5 Schreibstil
5/5 Charaktere
3/5 Handlung
4/5 Optik
(15 von 20 Punkten)


Es war keine einfache Lesung, jedoch war es das wert, zu lernen, wie das Original wirklich ist. Und nach meiner Meinung hat Disney es geschafft, der Geschichte eine gewisse Originalität zu geben. Auf mehreren Ebenen. Und doch hoffe ich, dass die Realverfilmung, die in Planung ist, noch einige andere Elemente des Romans aufnimmt. Jetzt wende ich mich wieder aktuelleren Titeln zu, denn nun kann ich behaupten, wenigstens eines der wirklichen großen Werke dieser Welt gelesen zu haben. Weil Disney diesen Funken gesät hat. Da hat jemand alles richtig gemacht. Und ich hoffe, dass die Realverfilmung sich mindestens genauso gut anfühlt und berührt, wie die Geschichte es schon seit Jahrhunderten tut.


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